Unerreichbar – Abgrund: Teil 1 der Unerreichbar-Dilogie

von April Nierose

Unerreichbar - Abgrund: Teil 1 der Unerreichbar-Dilogie von April Nierose

Klappentext zu Unerreichbar – Abgrund: Teil 1 der Unerreichbar-Dilogie

„Eine Sache gibt es, die das Schlimmste im Menschen hervorholt – und das ist nicht Angst oder Neid, nicht einmal Hass. Es ist Macht. Es ist die Gewissheit, dass das Gegenüber nichts weiter tun kann, als etwas zu ertragen.“
So unterschiedlich die Zwillingsschwestern Clara und Camilla sind, so verschieden verlaufen auch ihre Leben.
Während das von Camilla augenscheinlich perfekt wirkt, ist Clara bisher an jeder Front gescheitert.
Als Clara nach der Beerdigung ihrer Mutter von einem mysteriösen Fremden angesprochen wird, der sie auf der Stelle begeistert, will er ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sie beschließt, alles daran zu setzen, ihn wiederzusehen. Währenddessen erleidet Camillas Leben einen massiven Einbruch, doch sie ahnt nicht, dass das erst der Anfang ist, denn eine vertraute Person in ihrer Umgebung brennt bereits lange darauf, ihr alles zu nehmen.
Tod, Betrug, Entführung – und das Spiel beginnt!
Der erste Band der „Unerreichbar“-Dilogie von „Verfall“-Autorin April Nierose. Unheilvoll, brutal, packend!

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Ausgaben: Taschenbuch, E-Book
Seiten: 564
ISBN: 9783985950409
ASIN: B09LSBWY59

Leseprobe
Für gewöhnlich werden eineiige Zwillinge miteinander verwechselt. Schließlich sind 
sie genetisch identisch. Eine befruchtete Eizelle teilt sich, so wie alle anderen Zellen es 
auch tun. Der Prozess, der alles Leben auf dieser Welt ermöglicht. Es entstehen zwei 
identische Zellen, zwei Leben. Zwei Individuen, biologisch betrachtet zwei Wesen mit 
identischen Voraussetzungen. So besagt es die Theorie.
Ich weiß nicht, wann und wie es geschah, als meine Zwillingsschwester und ich 
begannen, uns so stark zu unterscheiden, bis wir beinahe den Gegensatz zur jeweils 
anderen bildeten. Waren Zufälle dafür verantwortlich oder waren wir genetisch doch 
verschiedener als man annehmen würde? Schließlich waren wir unter denselben 
Bedingungen aufgewachsen. Die gleichen Kleider, die gleichen Spielzeuge, die gleichen 
Schulen.
Für unsere Mutter waren wir allerdings sehr früh alles andere als gleich. Meine 
Schwester Camilla war stets Mutters kleines, liebes Mädchen. Sie lebte bereits im 
Sandkasten völlig zwanglos die Ideale unserer Mutter, während es mir nicht einmal 
mit Mühe gelang.
Vielleicht wurde ich aus Trotz nicht, wie von unserer Mutter gewünscht, vielleicht 
aus wahrer Gegensätzlichkeit zu Camilla, vielleicht, weil ich mich als ein 
eigenständiges Individuum abgrenzen, keine Kopie sein wollte.
Wollen wir denn nicht alle etwas Besonderes sein? Camilla schien es nie gewollt zu 
haben. Sie ging stets den direkten, gepflasterten Weg, sei es nur der Schulweg oder der 
klassische Weg der Lebensgestaltung. Ich tat es hingegen nicht. Bereits auf dem Weg 
zur Schule gingen wir getrennte Wege im wörtlichen Sinne. Camilla beschritt den Weg, 
den unsere Mutter uns zu beschreiten angewiesen hatte, den Weg, auf dem man uns 
gut sah, auf dem wir sicherer waren. 
Ich aber wählte den Umweg, den Weg zwischen den Gassen und Nebenstraßen 
hindurch, auch wenn er wesentlich länger als der angewiesene Schulweg war. Ich 
wollte erkunden, das Leben spüren, Abenteuer erleben, in jedem noch so kleinen 
Augenblick Staunen empfinden, nicht wie Camilla mit Scheuklappen der strengen 
Vorschriften durch das Leben gehen. 
Bei meinen ungeplanten Ausflügen verletzte ich mich, meine Kleider wurden 
dreckig, aber bedeutete nicht genau das, zu leben? Zu fallen, aufzustehen, den Dreck 
abzuklopfen und weiterzugehen, ob blutend oder nicht? Camilla hätte dem 
widersprochen, bereits als Kind.
Vermutlich war das die Zeit, in der ich zum bösen Zwilling in den Augen unserer 
Mutter wurde, noch bevor ich Gelegenheit bekam, die Tragweite von Entscheidungen 
zu begreifen. Und dann? – Dann war ich bereits in der Rolle der schwierigen Tochter 
verhaftet, ohne jemals den Schmetterlingsmoment ausgemacht haben zu können, der 
das alles in Gang gesetzt hat. Eine Kleinigkeit, ja vielleicht ein anderer Zufall als der, 
der geschehen war, und alles wäre anders gekommen. Vielleicht wäre ich dann zur guten Schwester geworden und unsere Mutter hätte nicht sterben müssen.
Aber nicht nur das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir hatte unter dieser 
Rollenverteilung gelitten, sondern auch das Verhältnis zwischen uns Schwestern. Wir 
fühlten uns voneinander verraten. Camilla fühlte sich von mir verraten, weil ich immer 
das tat, wonach mir der Sinn stand und ich mich von Camilla, weil sie mich immer 
verpetzte. Loyalität zwischen uns gab es nie, nicht solange ich denken kann. Ich habe 
Camilla stets im Stich gelassen, ihr den Rücken zugekehrt, während sie mir immer und 
immer wieder in den Rücken fiel. Das war das, worauf ich mich verlassen konnte: 
Camilla würde immer das tun, was man von ihr erwartete und mich dabei niemals in 
Schutz nehmen.
Später begann ich, meine Schwester für beschränkt zu halten, für langweilig, für 
spießig und vermutlich trifft das auch auf sie zu, aber es kam, wie es kommen musste: 
Mein Weg forderte seinen Tribut. Camillas Weg nicht. Während sie einen 
hervorragenden Schul- und Universitätsabschluss absolvierte, glücklich heiratete, sich 
selbstständig machte, Mutter eines bezaubernden Sohnes wurde, gab es für mich 
keinen Erfolg. An keiner Front.
Meine Ex-Freunde benutzten und entsorgten mich anschließend wie ein dreckiges 
Taschentuch, während mich das erst recht dazu verleitete, krampfhaft um ihre 
Aufmerksamkeit zu kämpfen, die Aufmerksamkeit und Liebe, die ich von meiner 
Mutter nie bekommen hatte. Auch als es um Schule, Universität oder Beruf ging – ich 
war schon froh, wenn ich nur durchschnittliche Leistungen erbrachte. Mir fehlte eben 
das, worüber Camilla im Übermaß zu verfügen schien: Fleiß. Vielleicht war ich 
arrogant genug zu glauben, dass das, was Camilla erreichen konnte, auch für mich 
greifbar wäre, wenn ich mich zusammenreißen und dafür arbeiten würde, dass ich 
mich bloß aus Abenteuerlust nicht hätte bemühen wollen, dass meine Prioritäten 
anders ausgesehen hätten. Schließlich waren wir genetisch gleich. Vielleicht hatte ich 
sogar Recht damit. Der springende Punkt ist bloß, dass ich es nie darauf ankommen 
ließ, das herauszufinden. Ich wollte leben, alles vom Leben, aber schließlich hat mir 
mein Lebensstil nichts weiter geboten als Enttäuschungen. 
Ich versuchte, nicht in Selbstmitleid zu versinken, Verantwortung für meine 
Entscheidungen, die ich stets mit klarem Verstand getroffen hatte, zu übernehmen, 
doch wenn ich die Zeit hätte zurückdrehen können, im Wissen, wie das alles enden 
würde, dann musste ich mir eingestehen, dass ich wahrscheinlich nichts anders 
gemacht hätte.
Und auch heute glaube ich noch, das Ruder herumreißen, alles ändern zu können, 
aber ich tue es nicht. So quäle ich mich durch einen unbefriedigenden Job als 
Kellnerin, nachdem ich zwei Studiengänge abgebrochen habe und rede mir ein, dass 
ich einen davon irgendwann wieder aufnehmen könnte. Im tiefsten Inneren muss ein 
Teil von mir aber höhnisch auflachen, denn wenn ich ehrlich zu mir bin, dann habe ich 
mich immer schon auf mein üppiges Erbe verlassen, das mir heute nicht nur aus der 
Schuldenfalle helfen, sondern auch ein recht passables, finanziell sorgenfreies Leben 
ermöglichen wird.
Ich habe mich nicht verrechnet, denn heute ist der Tag, an dem meine Mutter unter die Erde kommt und während Camilla versucht, ihr Schluchzen zu unterdrücken, 
während ihr Tränen aus den Augen fließen wie aus einer Duschbrause, unterdrücke ich 
ein schiefes Lächeln, denn ich bin diejenige, die niemanden verloren hat und deren 
neues Leben gerade erst beginnt. Ich habe nämlich sehr wohl ein Ziel erreicht und 
dafür nahm ich diesmal weder einen Umweg noch den direkten Weg, sondern eine 
Abkürzung.

Kapitel 2: Camilla, 2019


Es fühlt sich so unwirklich an. Wir alle wachsen in dem Wissen auf, dass Menschen 
sterben, dass wir wahrscheinlich unsere Eltern überleben werden, überleben sollten, 
dass dies der natürliche Lauf des Lebens ist, aber es fühlt sich nicht richtig an. Wenn 
man einen geliebten Menschen verliert, dann versagt jede Rationalität, jede Vernunft, 
jede Logik.
Meine Mutter und ich standen uns nicht einfach nur nahe. Wir waren Freundinnen, 
Vertraute, alles das, was man sich vermutlich von einer Mutter-Tochter-Beziehung
wünscht. Ich habe meine Mutter mein Leben lang bewundert. Sie war mein Vorbild. 
Jedes Problem rang sie mit Lösungen nieder, als sei sie unbezwingbar. 
Sie schaffte es, Karriere zu machen sowie meine Schwester und mich großzuziehen. 
Auch die Rolle der alleinerziehenden Mutter meisterte sie nach dem Tod unseres 
Vaters perfekt, und das ganz allein, ohne fremde Unterstützung. Trotz dieser massiven 
Belastung fand sie immer Zeit für uns, wenn wir sie brauchten. Dass Clara häufig in 
Schwierigkeiten geriet, brachte unsere Mutter nie aus der Ruhe. Sie stützte sie wie eine 
tragende Wand, ganz gleich, ob Clara an falsche Männer geriet oder Schulden machte, 
ständig aufs Neue.
Meine Schwester und ich waren uns nicht immer einig, eigentlich fast nie. Wir 
könnten kaum verschiedener sein, aber eine Sache hatten wir immer gemeinsam: die 
Liebe zu unserer Mutter, auch wenn Clara das niemals offen eingestehen würde. Clara 
ist ein verschlossener Mensch, der nicht über seine Gefühle redet. Dennoch weiß ich, 
was sie fühlt, wenn ich in ihr Gesicht sehe und es erfüllt mich mit Schmerz. Immer und 
immer wieder, wenn ich denke, dass die Trauer nicht tiefer in meine Eingeweide 
dringen könnte. Ich sehe, wie Clara um Fassung bemüht versucht, auch nicht einen 
ihrer Gesichtsmuskeln zu rühren, wie sie kämpft, um dieses Mal stark zu sein, während 
es mir nicht gelingt.
Im tiefsten Inneren weiß ich, dass Clara die Stärkere von uns beiden ist, auch wenn 
sie ihre Stärke stets für Widerstand einsetzte, statt für Konstruktivität. Sie hat Mut, 
Kraft und Energie. Etwas, das sie von unserer Mutter geerbt hat, und ich hoffe, dass sie es weiß. Dass sie eines Tages lernen wird, ihr Potenzial zu nutzen. Das wünsche ich 
mir für sie vom ganzen Herzen.
Hätte ich doch nur Claras Fassung und ihre Selbstbeherrschung, um in der Lage zu 
sein, vor all diesen Menschen, die sich versammelt haben, zumindest nicht komplett 
jämmerlich dazustehen.
Ich habe mich darauf vorbereitet, auf diesen Moment, diese Rede, wie ich mich stets 
auf alles vorbereite, aber jetzt stehe ich hier oben und bekomme kein Wort aus mir 
heraus. Mir wäre auch ohne einstudierte Rede klar, was ich fühle, was ich sagen will, 
aber ich kann es nicht in Worte fassen und wenn ich doch kurz das Gefühl habe, dass 
es mir gelingen könnte, nur ein Wort aus mir herauszubringen, erstickt es in meiner 
Kehle.
Gewiss ist allen Anwesenden klar, was meine Mutter mir bedeutet hat, aber ich will 
ihr diese Ehre erweisen, ein letztes Mal will ich sie stolz machen, obwohl ich weiß, dass 
sie immer stolz auf uns gewesen ist.

Kapitel 15: Jessica, 2019

Wie lange ist es nur her, dass ich in meinem frustrierenden Leben sicheren Schrittes 
unterwegs war? Habe ich mich überhaupt jemals wirklich selbstsicher gefühlt? Doch 
heute ist alles anders, es ist der Wendepunkt meines Lebens.
Manchmal habe ich mich für das, was ich tat und für das, was ich nicht bin, aber 
gerne wäre, unheimlich geschämt, doch heute fiel all das von mir ab wie ein altes,
abgelegtes Kleidungsstück.
Aus Camillas Sicht war mein ganzes Leben wohl ein konstanter Tiefpunkt, ein 
Projekt, das sie irgendwann abzuschließen glaubte, so wie ein Modell, das sie nach 
akribischem Arbeitsaufwand für die Abgabe vorbereitete und dann auf einem Regal 
verstauben ließ. Eine Freundschaft auf Augenhöhe war das nicht und genau das 
machte mich so traurig und wütend. Ich fragte mich ständig, wann der Tag meiner 
Abgabe kommen würde. Wann würde sie mich nicht mehr haben wollen? Wenn sie 
mich für hoffnungslos erklären oder als Brautjungfer auf meiner eigenen Hochzeit die 
Blicke aller Gäste auf sich ziehen würde? Oder würde sie mich durch ein neues, 
vielversprechenderes Projekt ersetzen?
Ich habe nie verstanden, warum sie sich mit mir angefreundet hat. War ich der 
Schandfleck, den sie mit sich herumschleppte, um im Kontrast mehr zu glänzen? 
Andererseits hatte sie das nicht nötig, denn sie glänzte auch ohne unbedeutende 
Nebendarstellerinnen.
Wir lernten uns Ende des ersten Semesters im Architekturstudium kennen. Sie fiel mir schon am ersten Tag auf. Die schönen Klamotten saßen an ihr, als würde die 
Modewelt im Auftrag für sie arbeiten und sie strahlte so, als würde sich die ganze Welt 
um sie drehen. An jenem schicksalhaften Tag saßen wir beide mit unseren Laptops in 
der Bibliothek und schrieben an unseren Hausarbeiten. Camilla kam super voran und 
war nur in die Bibliothek gekommen, um ein paar Quellen abzugleichen. Ich hingegen 
musste auf den letzten Drücker abgeben und zu Hause war die Hölle los. Ich wollte 
ausziehen, wollte aber auch nicht arbeiten, um mir eine eigene Wohnung finanzieren 
zu können und meine letzten Dates waren schrecklich gelaufen. An diesem Tag kam so 
viel zusammen, dass mir alles zu viel wurde und ich begann, mein ganzes Leben zu 
hinterfragen, aber dass es durch irgendeine denkbare Entscheidung besser werden 
würde, war nicht in Aussicht.
So saß ich in der Bibliothek, so nutzlos wie die Bücher, die ich mir aus den Regalen 
geholt hatte, denn ich war nicht in der Lage, ihren Inhalt aufzunehmen und brachte 
auch kein sinnvolles Wort für meine Hausarbeit zustande, bis ich irgendwann 
frustriert und verzweifelt den Laptop zuschlug und zu heulen begann. 
Da kam Camilla zu mir rüber und fragte, ob sie mir helfen könnte. Wir gingen in ein 
Café. Ich schüttete ihr mein Herz aus, woraufhin wir begannen, uns regelmäßig zu 
verabreden, bis daraus eine Freundschaft erwuchs. Zumindest oberflächlich war es so, 
denn der Neid zerfraß mich von innen. Gemeinsames Shoppen – Camilla stand die 
elegante Kleidung, ich musste notdürftig das kaufen, was gerade halbwegs passte. 
Camilla war bereits zuhause ausgezogen und wurde von ihrer Mutter finanziell 
unterstützt, ich musste meinen Eltern noch Geld zur Miete dazugeben. Camilla wurde 
beim Feiern von attraktiven Männern angesprochen, ich nicht und wenn, dann nur 
weil sie in Wahrheit an ihr interessiert waren.
Doch es gelang mir trotzdem, neben Camilla zu wachsen. Aus dem moppeligen, 
schüchternen Mädchen mit dicker Brille und schlechter Haut wurde eine gepflegte 
junge Frau mit tief ausgeschnittenen Kleidern, Kontaktlinsen, einer schicken 
Föhnfrisur und einem strahlenden, vor dem Spiegel einstudierten Lächeln. Ich begann 
sogar, mich zu trauen, auf Menschen zuzugehen, aber das genügte mir nicht. Mein 
Traum war es, mit spätestens 25 Jahren Mann, Kind, Haus und Hund zu haben. Aber 
kein passender Mann war mir begegnet und so blieb ich auf der Strecke, während 
Camilla bereits mit Anfang 20 Marius heiratete und beruflichen Erfolg fand. Ich 
hingegen quälte mich in einem Großraumbüro ab, wo ich Mädchen für alles spielte. 
Doch dann tat sich eine Chance auf: Camilla hatte schon zuvor von ihren 
Eheproblemen erzählt und eines Tages regte sie sich darüber auf, dass Marius einen 
Dreier mit mir und ihr vorgeschlagen hatte. Ich konnte es nicht fassen – ein Mann, der 
Camilla hatte, wollte mich. Das zu hören, veränderte alles. Die Verbitterung, die 
jahrelang in mir gekocht hatte, sprudelte über und ließ mich alle Hemmungen 
verlieren, um endlich das zu tun, was ich immer gewollt hatte – Camilla schaden.
Ich verführte Marius. Es war kinderleicht, als hätte er nur darauf gewartet. Ich kam 
vorbei, als Finn bei seinen Großeltern und Camilla auf der Arbeit war, setzte all meine 
Reize ein und zerrte ihn, ohne dass er Widerstand geleistet hätte, ins Schlafzimmer. 
Ich habe es mir von ihm genau auf Camillas Bettseite besorgen lassen. Danach trafen wir uns regelmäßig in meiner Wohnung, um miteinander zu schlafen.
Als in Marius Schuldgefühle aufstiegen, erzählte ich ihm, dass Camilla ihm untreu 
gewesen war sowie dass er sich Finns Vaterschaft nicht sicher sein konnte. Erst wurde 
er wütend, aber nachdem er sich beruhigt hatte, beschloss er, das Spiel erst einmal so 
weiterzuspielen, mich immer weiter zu vögeln, um es Camilla eines Tages zu stecken, 
um sie maximal zu verletzen, die Ehe endlich so unerwartet und erschütternd zu 
beenden, dass es diesem untreuen Stück den Boden unter den Füßen wegreißen würde. 
Nach rund einem Jahr war dies heute letztlich geschehen. 
Ich finde es fast schon schade, dass das Versteckspiel nun ein Ende hat. Es hat mir 
einen Kick verpasst wie nichts anderes auf der Welt. Das Beste kam aber erst später, 
nachdem Camilla ausgerastet ist: Marius sagte, er wolle mit mir zusammen sein, 
Camilla abservieren, mit mir in ihrem Haus wohnen, immerhin würde mich Finn auch 
von ganzem Herzen lieben. Er ist ein unheimlich lieber Junge, der durch Camillas 
ständige Abwesenheit den Draht zu ihr verloren hat. Ich werde ihn mit Geschenken, 
Aufmerksamkeit und Ausflügen ködern, ihn zu meinem Sohn machen, während 
Camilla mit nichts zurückbleiben wird.
Außerdem beginne ich, mich in Marius zu verlieben und will, dass er keine Probleme 
beim Streit um den Umgang mit Finn bekommt. Es ist also vonnöten, Camilla so zu 
diskreditieren, dass sie höchstens noch die Chance bekommt, Finn jedes zweite 
Wochenende zu sehen – oder am besten gar nicht. Sie soll aus unserer Vergangenheit 
getilgt werden, unserem Glück mit ihrer Gegenwart nicht im Weg stehen. 
Ich machte mir gerade Gedanken darüber, was ich dafür würde unternehmen 
müssen, als Marius telefonisch erfuhr, dass sich Camilla hat einweisen lassen. Sofort 
witterte ich eine Chance und hatte im selben Augenblick einen Plan.
Eigentlich ist das, was ich vorhabe, eine Nummer zu groß. Es ist nicht das, was 
Camilla verdient, denn bei allem Neid war sie eine gute Freundin und sie ist eine 
liebevolle Mutter, aber es dürstet mich danach, sie am Boden zu sehen. Außerdem ist 
Marius, bei aller Liebe, schwach, also muss ich die Sache selbst in die Hand nehmen.
Marius war gerade zu Camillas Schwester gefahren, um dort ihre Sachen abzuladen. 
Dieses Zeitfenster wollte genutzt werden, also fuhr ich ins Krankenhaus. Camilla litt 
schon früher an Panikattacken. Seit ihrer Jugend war das kein Thema mehr gewesen, 
aber heute haben diese Angstzustände wieder eingesetzt. Es ist an der Zeit, sie zu 
unterfüttern.
Eigentlich ist mein Plan zu einfach, um zu funktionieren, aber ich vertraue auf mein 
Glück. Wann sollte ich richtig Glück haben, wenn nicht heute? Ich stelle mich an der 
Anmeldung als Clara Gräf vor, die hoffentlich nicht auf dem Weg zu Camilla ist, aber 
sollte ich erwischt werden, würde ich angeben, ich sei hergekommen, um mich bei 
Camilla zu entschuldigen und dass ich von ihrem Zustand nichts wusste. Ich weiß dank 
Marius aber sehr wohl Bescheid – Camilla hat bei einer Panikattacke einen 
Krampfanfall erlitten. Der Verletzungsgefahr wegen wurde sie an ihr Bett fixiert. Damit 
ist sie völlig hilflos und zudem durch einen Medikamentencocktail benebelt. Mit 
anderen Worten: Es ist die perfekte Chance, um sie in den Wahnsinn zu treiben.

Kapitel 63: Thomas, 2001

Es ist mir ein Rätsel, wie die Leute in Film und Fernsehen ihre Verfolgungsjagden 
so lässig bewältigen. Auf den leeren Straßen, die mich aus Bonn heraus und Richtung 
Niederrhein führen, befürchte ich mehrmals, Cornelia verloren zu haben, aber dann 
tauchen doch immer wieder die Rücklichter ihres Wagens vor mir auf. Ich spiele mit 
dem Gedanken, sie zu überholen und so zum Anhalten zu bringen, aber in der 
Dunkelheit würde ich damit vielmehr einen Unfall riskieren.
Ihr zu folgen erscheint mir zwar mit jedem weiteren zurückgelegten Kilometer 
fragwürdiger und grenzüberschreitender, aber ich will das, was zwischen uns passiert 
ist, nicht so stehen lassen. Zwischendurch halte ich mich selbst mal für den größten 
Freak, mal denke ich mir, dass ich das Richtige tue, indem ich in Erfahrung bringe, wo 
ich sie finde, falls es heute zu keinem Gespräch mehr kommt. Doch angenommen, ich 
folge ihr bis zu ihrem Haus. Ich kann sie ja wohl schlecht vor ihrer Tür ansprechen, 
während ihr Mann und ihre Kinder vielleicht zuhause sind. Deshalb hoffe ich jedes 
Mal, wenn wir an einer Tankstelle vorbeifahren, dass sie dort anhält – vergeblich. 
Es geht über Feldwege, vorbei an Waldrändern und über denkbar schmale 
Landstraßen. Dann sehe ich, wie ihr Auto vor mir abbiegt. Als ich diesem mit großem 
Abstand folge, bemerke ich, dass die Straße etwa hundert Meter weiter endet. Am Ende 
der Straße steht ein Haus, welches links und rückseitig an ein Waldstück grenzt, rechts 
erstreckt sich ein Feld – nichts weiter. Dass ich das Haus in der Dunkelheit überhaupt 
erkennen kann, ist dem Mond geschuldet, der es in einen kalten Schleier hüllt. Zudem 
brennt Licht in einem der Fenster. Wie groß das Haus ist und wie weit es sich nach 
hinten hinaus erstreckt, kann ich von hier aus nicht einschätzen. Es wirkt so winzig 
klein und verloren zwischen dem Schwarz des Waldes sowie der Leere des Feldes, wie 
ein einsames Schiff auf stürmischer See.
Statt dem Wagen zu folgen, bremse ich, schalte in den Rückwärtsgang und fahre 
zurück in die Kurve. Als ich aus der Sichtweite des Hauses verschwinde, manövriere 
ich das Auto von der Straße herunter zwischen ein paar Bäume. Die Äste knacken wie 
verrottendes Gebälk, aber zum Glück ist Lars‘ Auto schon so zerkratzt, dass er neue 
Lackschäden sicher nicht bemerken wird. Der Boden unter mir ist uneben und ich 
denke mit Sorge ans spätere Ausparken, aber einen besseren Abstellort werde ich jetzt 
sicher nicht finden. 
Der Zweifel, ob es eine gute Idee war, Cornelia nachzufahren, verlässt mich für keine 
Sekunde, sodass ich wiederholt mit dem Gedanken spiele, umzukehren, doch letztlich 
beschließe ich, mir das Haus wenigstens aus der Nähe anzusehen, da ich nun schon 
mal hier bin.
Als ich aussteige, beschließe ich, mich dem Haus im Schutz der Bäume zu nähern. 
Wie kann man hier nur wohnen, so mitten im Nichts? Wenn jemand auf die Idee 
kommt, einen auszurauben, ist man ausgeliefert. Hat man hier überhaupt Internet- und Handyempfang? Ich schüttle den Kopf über meine Gedanken – weit vom Schuss ist nicht außer Reichweite der Zivilisation, auch wenn mir das Klischee einer auf dem 
Dachboden lebenden, dreiäugigen Frucht des Inzests angesichts dieser Szenerie nicht 
aus dem Kopf gehen will. Andererseits ist es der perfekte Ort für Misanthropen, denn 
hier hat man definitiv seine Ruhe, was diese Gegend neben der frischen Luft wiederum 
ansprechend macht.
Nach kurzem Zögern nähere ich mich dem Haus und schleiche mich in den Garten. 
Und nun? Mit jedem Schritt, der mich dem Haus näherbringt, wird mir kälter, denn 
ich schwitze vor Stress aus allen Poren und mein Herz rast wie verrückt, während der 
kalte Nachtwind unter mein locker sitzendes Polohemd zieht.
Das Fenster, in dem das Licht brennt, ist weit geöffnet und erlaubt einen Blick ins 
Haus, aber mit einem solchen würde ich umgekehrt riskieren, gesehen zu werden. 
Dennoch stelle ich mich daneben und schaue von der Seite aus vorsichtig hinein, doch 
mir eröffnet sich lediglich die Sicht auf einen Türrahmen am anderen Ende des Raums. 
In diesem sehe ich eine schmale Gestalt in einem üppigen Rock, die mit großer 
Sicherheit Cornelia sein wird. Sie huscht an der offenen Tür vorbei. 
Genau in diesem Moment sehe ich, wie sich dort ein großgewachsener Mann 
aufrichtet, sich wie ein Insekt entrollt. Von den Proportionen her könnte es der Mann 
von der Lesung sein. Vor Schreck presse ich meine Lider zusammen und drücke 
meinen Körper mit aller Kraft gegen die Hausfassade, halte sogar den Atem an, 
während ich fürchte, dass mein Herzschlag die Stille zerreißt.
„Dachtest du, ich bekomme nicht mit, dass du weg warst?“, hallt eine raue 
Männerstimme aus dem Zimmer.
Ich würde am liebsten auf der Stelle zurück zum Auto sprinten, wobei ich mir selbst 
nicht erklären kann, warum mir die Situation so eine Angst einjagt, will aber zugleich 
unbedingt hören, was sie sagen, denn ich will erfahren, ob es sich bei diesem Mann um 
Peter handelt. Und ich will kein Feigling sein!
„Wo warst du?“, schießt er herrisch hinterher.
„Hör schon auf“, höre ich Cornelia antworten. Was sie danach sagt, kann ich 
akustisch nicht verstehen, dafür aber glasklar die Entgegnung des Mannes: „Du mit 
deiner klugscheißerischen Art. Wann kommt endlich der Tag, an dem ich dir dein 
freches Maul herausgeprügelt bekomme?“
Was?! Ich hoffe doch, das ist ein schlechter Scherz, und nicht ihre Lebensrealität.
„Mach, was du willst, nur mache es bitte schnell. Ich bin müde“, antwortet sie und 
so klingt sie auch.
„Einen Scheiß werde ich. Du hast es noch nie zuvor gewagt, ohne mein Wissen über 
Nacht wegzubleiben.“
„Du hast ja auch noch nie zuvor damit gedroht, den Mädchen zu offenbaren, was für 
ein Monster du bist.“
„Zehn Jahre Ehe, Cornelia. Warum bekommst du es nicht endlich hin, eine gute 
Frau zu sein?“
„Warum bekommst du es nicht endlich hin, ein guter Mann zu sein?“
„Na, weil du mich mit deinem Verhalten zum Gegenteil zwingst.“
„Tut mir leid, dass es mir nicht gelingt, dich glücklich zu machen.“
Ende der Leseprobe

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Ausgaben: Taschenbuch, E-Book
Seiten: 564
ISBN: 9783985950409
ASIN: B09LSBWY59

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